Weiterführende Fragen an die Expert*innen

Prof.in Dr.in Erika Schulze

Was ist Ihre Motivation für das Forschungsthema Migration, Flucht und Zugehörigkeit?

Zum einen begleitet mich die Migrationsforschung seit vielen Jahren, daher beschäftige ich mich auch immer wieder mit dem Thema Flucht und Zugehörigkeit. Die zweite Motivation hat generell mit meiner Beschäftigung mit gesellschaftlichen Ungleichheiten zu tun. In diesem Zusammenhang ist das Thema Migration von hoher Bedeutung.

Was bedeutet Migration im Kontext von Flucht auf die Zugehörigkeit(en) der Betroffenen?

Ich denke, das lässt sich nicht vereinheitlichen – (Mehrfach)Zugehörigkeiten sind unterschiedlich bei Menschen ausgeprägt, können sich situativ oder im Laufe der Zeit ändern. 

Wie verlief der empirische Zugang zum Forschungsfeld? Bestand Akzeptanz/Unterstützung oder Misstrauen/Ablehnung von Seiten des Forschungsfeldes?

Hier habe ich weitgehend große Offenheit erlebt.

Welche Wege gehen Sie, um Ihre Forschungsergebnisse der Praxis nahezubringen?

In unserem Fachbereich Sozialwesen ist der Theorie-Praxis-Transfer generell stark verankert, so dass es viele Kooperationen und Kontakte gibt. Ich selbst arbeite immer wieder mit städtischen Institutionen wie dem Kommunalen Integrationszentrum, dem Jugendamt, Schulen oder Kitas zusammen, so dass sich viele Möglichkeiten ergeben, die Forschung in die Praxis zu tragen und vor allem auch ins Gespräch zu kommen.

Welche konkreten Handlungsempfehlungen können Sie Schulen bei der Integration von geflüchteten Kindern geben?

Die Potentiale und Kompetenzen der Kinder stärker in den Blick zu nehmen, ebenso die Rahmenbedingungen, unter denen sie leben als Herausforderung und Verantwortung für die Schule wichtiger zu nehmen.

Wie definieren Sie Willkommenskultur? Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Willkommenskultur bei der Integration von Menschen mit Fluchterfahrung?

Meines Erachtens geht es – wie generell im Kontext von Migration – stärker um Inklusion, denn um Integration, einem Begriff dem weiterhin das Einfügen in, bzw. die Anpassung an ein imaginiertes großes Ganzes innewohnt. Demgegenüber würde ich dafür plädieren, die Inklusion zu ermöglichen – die gleichberechtigte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen (Bildung, Wohnen etc.). Hier gibt es noch starken Verbesserungsbedarf. Nichtsdestotrotz ist die Willkommenskultur, die ja vor allem von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen getragen wird, ein wichtiger und unterstützender Bestandteil.

Gibt es zukünftige Forschungspläne zur Thematik Migration und Flucht? Welche?

Noch keine wirklich ausgefeilten, doch das Thema wird mich weiter begleiten.

Prof.in Dr.in Christine Baur

Was ist Ihre Motivation für das Forschungsthema Migration, Flucht und Zugehörigkeit?

Das Thema begleitet mich seit Jahrzehnten: Zunächst als Studierende in den 1980er Jahren, in denen ich zusammen mit Kommiliton*innen aus dem Erziehungswissenschaftlichen Studiengang an der FU Berlin den interkulturellen Nachbarschaftsladen „Elele“ (Hand in Hand) in Berlin/Neukölln gegründet habe; anschließend als Schulsozialarbeiterin in einer Schule in Berlin/Kreuzberg, in der ich mehr als 20 Jahre mit Schüler*innen und Familien mit Migrationshintergrund bzw. Fluchtbiographie gearbeitet habe. Seit 2015 forsche ich im Rahmen meiner Professur zu konflikthafter Diversität im schulischen Alltag, der schulischen Integration von Geflüchteten und Migrationsthemen aufgrund gesellschaftspolitischer Herausforderungen.

Die Bildungsbenachteiligung von Schüler*innen mit Migrationshintergrund im Zusammenhang mit ethnischer und sozialer Segregation in Schulen und umgebenden Wohnquartieren bzw. Einzugsbereichen ist ein drängendes gesellschaftspolitisches Problem, das Lösungen bedarf.

Was bedeutet Migration im Kontext von Flucht auf die Zugehörigkeit(en) der Betroffenen?

Zugehörigkeit muss von Zugewanderten mit geringen Kenntnissen der deutschen Sprache, vor allem von Geflüchteten, schwer erkämpft werden. Hindernisse liegen in Vorurteilen gegenüber Geflüchteten, ihren vermeintlichen kulturellen und religiösen Prägungen. Das Gefühl der Zugehörigkeit kann gestört werden durch Zuschreibungsprozesse, die den Zugewanderten eine randständige Position in dieser Gesellschaft zuweisen. Die Förderung der Zugehörigkeit der Geflüchteten muss auf verschiedenen politischen, institutionellen und professionellen Ebenen erfolgen.

Wie verlief der empirische Zugang zum Forschungsfeld? Bestand Akzeptanz/Unterstützung oder Misstrauen/Ablehnung von Seiten des Forschungsfeldes?

Der Zugang zum Forschungsfeld war in der Regel ohne Hindernisse möglich. Selbst in der Hochphase der Covid-Epidemie gab es eine erstaunliche Bereitschaft bei Schulleiter*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Lehrkräften und weiteren Akteur*innen in Deutschland und Dänemark, ihre Sicht auf schulische Integrationsprozesse zu teilen und sich als Expert*innen unseren Fragen zu stellen.

Welche Wege gehen Sie, um Ihre Forschungsergebnisse der Praxis nahezubringen?

Die Forschungsergebnisse werden auf eigenen Fachtagungen, nationalen und internationalen Konferenzen veröffentlicht. Bei den eigenen Fachtagungen an der Fakultät werden Wissenschaftler*innen, Studierende, schulische Akteur*innen und Vertreter*innen der Bildungsverwaltung auf kommunaler, Landes-, Bundes- und internationaler Ebene eingeladen. Rückspiegelungen der Forschungsergebnisse an die (schulischen) Einrichtungen und die Bildungsverwaltungen auf verschiedenen Organisationsebenen werden ebenso vorgenommen. Hinzu kommen wissenschaftliche Publikationen, um die Forschungsergebnisse in einen Theorie-Praxis-Transfer zu bringen.

Welche konkreten Handlungsempfehlungen können Sie Schulen bei der Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen geben?

Die Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen, sowie ihrer Erziehungsberechtigten und Familien muss anerkannt werden.; dies in Form der Akzeptanz der Erstsprache als weitere Fremdsprache, die in der Schule oder in kooperierenden Einrichtungen gefördert wird. Zudem sollten Gespräche mit Erziehungsberechtigten gegebenenfalls durch Sprachmittler*innen begleitet werden. Eine Willkommenskultur an Schulen gegenüber Erziehungsberechtigten ist zu entwickeln, sei es durch Elterncafés, Peer-Beratung durch Eltern/Erziehungsberechtigte und weitere partizipative Formen. Die Forschung in Frankreich und Dänemark zeigt, dass die Anerkennung von Migration als Normalfall und nicht als Belastung einen anderen Blick auf die schulische Integration von Geflüchteten ermöglicht. Hilfreich ist hier die in beiden Ländern betonte internationale Kinderrechtskonvention, die eine zielgerichtete Beschulung abseits der sozialen und ethnischen Herkunft fordert.

Wie definieren Sie Willkommenskultur? Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Willkommenskultur bei der Integration von Menschen mit Fluchterfahrung?

Eine Willkommenskultur zeigt sich in vielen Facetten: Hinweisschilder im Schulgebäude in verschiedenen Sprachen, (appgestützte) Leitsysteme mit Piktogrammen, Sprachmittler*innen bei Gesprächen mit Erziehungsberechtigten, Einsatz von Social Media beim Kontakt mit Erziehungsberechtigten, Fremdsprachenkenntnisse der schulischen Akteur*innen, mehrsprachige Informations- und Beratungsangebote für Schüler*innen und ihre Angehörigen und vieles mehr.

Wie schätzen Sie die Zukunft für geflüchtete Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen ein? Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Schulsozialarbeit weiterentwickeln?

Das deutsche Schulsystem muss sich fortlaufend um die Verbesserung der Bildungsergebnisse bemühen. Indikatoren sind hierfür nationale und internationale Schulleistungsstudien, die fortgesetzt seit 2001 bilanzieren, dass in Deutschland die Koppelung zwischen sozialer Herkunft, Migrationshintergrund und Bildungserfolg besonders eng ist. Es gibt eine empirische Evidenz für Bildungsbenachteiligung bei Schüler*innen aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen und/oder mit Migrationshintergrund.

Die Expansion der Schulsozialarbeit zeigt sich bundesweit seit einigen Jahren mit Unterschieden im Tempo, in der Finanzierung und Trägerstruktur in den Bundesländern. In den Schulen sind gesellschaftspolitische Veränderungen, unter anderem die Folgen von Armut, Migration und Flucht zu bewältigen. Die zunehmende Diversität an Schulen zeigt sich vor allem bei Schulen in schwierigen Lagen mit einem hohen Anteil an von Armut betroffenen Schüler*innen oder Schüler*innen mit Migrationshintergrund, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Schule benötigt zunehmend Soziale Arbeit zur Abmilderung schulischer Exklusionsmechanismen und muss sich als lernende Organisation begreifen, die z.B. die Entwicklung der multiprofessionellen Kooperationen als Qualitätsentwicklungsmerkmal von Schulen begreift.

Gibt es zukünftige Forschungspläne zur Thematik Migration und Flucht? Welche?

Die Übertragbarkeit der im Rahmen dieser Fachtagung vorgestellten Erkenntnisse soll nun auf die Schulen in sieben Landkreisen und drei Städten im Zuständigkeitsbereich des Regionalen Landesamtes für Schule und Bildung Braunschweig überprüft werden. Dazu erfolgt eine Befragung im Rahmen einer quantitativen Studie mithilfe eines Online-Fragebogens von Schulleiter*innen, Schulsozialarbeiter*innen, Lehrkräften, weiterem pädagogischen Personal, Dezernent*innen der Bildungsverwaltungen, Bildungskoordinator*innen und Sprachbildungskoordinator*innen aller Schulen in der Zuständigkeit des Regionalen Landesamtes für Schule und Bildung Braunschweig, in denen Schulsozialarbeiter*innen tätig sind.

Ziel ist es, deren Perspektiven mit Bezug auf die folgenden Kategorien zu untersuchen:

Akzeptanz und Förderung der Mehrsprachigkeit an Schulen

Multiprofessionelle Kooperationen (Schulleiter*innen, Lehrkräfte, Schulsozialarbeiter*innen, externe Kooperationspartner*innen, Unterstützungsfachkräfte im Schulentwicklungsprozess)

Einbezug von Erziehungsberechtigten

Übergangsmanagement (v.a. individuelle Übergänge neu zugewanderter Schüler*innen in ihrer Bildungsbiographie)

Adina Küchler-Hendricks

Was ist Ihre Motivation für das Forschungsthema Migration, Flucht und Zugehörigkeit?

Artikel 3 unseres Grundgesetzes verweist bereits auf einen Inklusionsanspruch, der damit nicht erst seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ein allgemeines Menschenrecht ist: Für jede Person muss die Voraussetzung geschaffen werden, an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben, unabhängig von Sprache, Herkunft, Aussehen, Alter, Religion oder anderen individuellen Merkmalen. Diese Herausforderung gut meistern zu können und konkrete Hinweise zur Umsetzung zu geben – dafür lehre und forsche ich.

Was müsste des Weiteren im Kontext von Familie/Politik und Gesellschaft getan werden? Nennen Sie uns zu jedem der drei genannten Bereiche bitte einen Aspekt, den Sie als besonders wichtig erachten.

Familie: Familien können nicht genug finanzielle Unterstützung durch Bund, Land und Kommunen erfahren. Aus der Schule heraus können Lehrkräfte durch Hausbesuche unterstützen. Unseren Studierenden empfehle ich immer gerne den Film „Kinder der Utopie“. Die dort beschriebene Förderung kann in Schulen aber nur dann gelingen, wenn bildungspolitische Ausgaben anhand empirischer Evidenz an den Bedarf in Schulen angepasst werden.

Gibt es zukünftige Forschungspläne zur Thematik Migration und Flucht? Welche?

Während die Ergebnisse des hier vorgestellten Forschungsprojektes zunächst auf ihre Übertragbarkeit auf die Schulen in sieben Landkreisen und drei Städten im Zuständigkeitsbereich des Regionalen Landesamtes für Schule und Bildung Braunschweig überprüft werden, gibt es weiteren Forschungsbedarf: Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und die Migration geflüchteter Schüler*innen aus der Ukraine müssen in künftige Untersuchungen im Kontext von Migration und Flucht einbezogen werden.

Wie definieren Sie Willkommenskultur? Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die Willkommenskultur bei der Integration von Menschen mit Fluchterfahrung?

Menschen, die ihre Heimatländer aufgrund von Krieg, Verfolgung oder anderen Gründen verlassen haben, kommen oft in eine völlig neue und fremde Umgebung. Eine positive und unterstützende Willkommenskultur kann ihnen helfen, sich schneller und effektiver in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden, Kontakte zu knüpfen und Identität zu stabilisieren. Eine Willkommenskultur kann auch dazu beitragen, Vorurteile und Ängste abzubauen, die mit der Ankunft von geflüchteten Schüler*innen einhergehen kann. Eine Atmosphäre des Vertrauens und der Zusammenarbeit muss geschaffen werden, die dann dazu beitragen kann, Konflikte und Spannungen zu reduzieren und das Zusammenleben aller in der Gemeinschaft zu verbessern.

Britta Mutzke

Wie schaffen Sie es simultan die gehörten Beiträge zu visualisieren und diese so miteinander zu verbinden, dass am Ende ein stimmiges Ganzes daraus wird?

Auch wenn es nicht so klingt, das ist tatsächlich ganz einfach: zuhören, zeichnen, Zusammenhänge finden!

Am wichtigsten ist also eine gute Akustik. Hören und umsetzen gelingt nahezu zeitgleich, lesen und schreiben bzw. zeichnen gelingt zeitgleich nicht. Das Zuhören in völliger Präsenz ist das wichtigste. Lösen wir uns also zunächst von der Vorstellung, dass eine Seite Papier immer von oben links nach unten rechts beschrieben wird. Ein stimmiges Ganzes entsteht eher durch eine Art Mind Mapping. Ich höre auf die Schlüsselwörter, auf die Keywords anhand derer ich die Aussagen des Vortragenden rekonstruieren könnte. Diese zeichne ich entweder als Wort-Bild oder als Piktogramm oder auch als Zitat unmittelbar. Im weiteren Verlauf des Vortages finden sich dann schnell inhaltliche oder logische Anknüpfungspunkte, die in der direkten Nähe Platz finden. Mit Rahmen, Verbindungslinien oder Pfeilen und mit Farbe kann ich dies dann visuell verstärken. 

Was bedeutet Ihnen das Thema der Tagung?

Flucht und Vertreibung waren und sind zentrale Themen, mit denen wir uns perspektivisch auseinandersetzen müssen. Menschen müssen ihre Heimat verlassen aus politischen, ökonomischen und künftig auch verstärkt aus ökologischen Gesichtspunkten. Dem müssen wir alle als Gesellschaft begegnen. Und Sprache ist der Schlüssel. Sprache ist, was Menschen miteinander verbindet und auch alle (Fach-)Disziplinen. Daher ist es so unfassbar wichtig, in einer sich kontinuierlich verändernden Welt mit all ihren komplexen Herausforderungen miteinander zu sprechen, sich austauschen zu können.

Mit meinen Visualisierungen biete ich oft eine „Brückensprache“ an, eine Kommunikationsfläche. Denn ein Bild sagt bekanntlich viel mehr als 1000 Worte. Die Menschen kommen ins Gespräch: Finde ich das, was ich verstanden habe hier wieder? Welches ist das passende Bild für einen verwendeten Begriff oder für eine Situation? Finden wir ein gemeinsames? Wie können wir Sachverhalte und Zusammenhänge so abbilden, dass alle sie verstehen?

Alles das, was hilft, dass Menschen sich ausdrücken können und Ideen haben, hilft Lern- und Weiterentwicklungsprozessen. Visualisierungen sind ein niederschwelliges Hilfsmittel dafür und können (Sprach-)Grenzen übergreifend unterstützen.

Hatten Sie Vorwissen zur Thematik der Tagung? Ein besonderes Interesse?

Lehr-, Lern- und Entwicklungsprozesse zu betrachten und zu begleiten ist mein Lieblingsthema. Ich bin Dipl. Pädagogin, daher hatte ich natürlich ein großes Interesse an der Thematik.

Zudem habe ich selbst drei Kinder, die die weiterführende Schule besuchen und Freunde und Freundinnen mit nach Hause bringen, daher bin ich mit der Thematik gut vertraut. Mein ältester Sohn verbringt gerade ein Auslandsjahr in Finnland und „kämpft“ mit der finnischen Sprache. Er nutzt Englisch als Brückensprache, das ist dort selbstverständlich. Aber die finnischen Wortbilder wird er sich wohl recht häufig visualisieren müssen, damit er sie lernt. Nun, er ist aus freiem Willen dort, was bei vielen Kindern und Jugendlichen mit Flucht- oder Vertreibungshintergrund sicher nicht so ist. Dennoch wird deutlich, wie wichtig das Wohlfühlen, der Lernort als ein sicherer Ort für eben diese Lernprozesse ist. Das war ja auch ein zentraler Punkt der Tagung.

Inwiefern spielt die Beziehung zum Thema für Ihre Arbeit eine Rolle?

Vor einiger Zeit hatte ich einen Workshop mit neun Frauen aus sechs verschiedenen Nationen. Demzufolge hatten wir sechs verschiedene Sprachen im Raum aber keine gemeinsame. Diese Frauen waren aus den unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland gekommen und sollten in diesem Workshop über ihre Kompetenzen reflektieren, um eine Idee zu entwickeln, was ihnen hier beruflich möglich ist. Mit Händen und Füßen haben wir visualisiert, dann mit einfachen Piktogrammen. Jede der Frauen in ihrer Sprache. Es gab viele Missverständnisse zu den Bedeutungen vieler Bilder – aber gerade durch das Auflösen dieser Missverständnisse, und viel gemeinsames Lachen bei so einigen Visualisierungsversuchen konnten wir uns einen gemeinsamen Bildwortschatz erarbeiten. Und eines ist in diesem Zusammenhang noch besonders wichtig: Wenn ich eine Figur mit einem lächelnden Gesicht zeichne, dann wird das überall auf der Welt verstanden, ohne dass wir Worte dafür brauchen. In ein lächelndes Gesicht zu schauen, macht etwas mit uns. Warum nicht nutzen?!

Wie sind Sie zum „graphic recording“ gekommen?

Durch die Reflexion über meine eigenen Lernprozesse. Lernen, wie ich es aus der Schule und Studium kannte, kam mir langatmig und ineffektiv vor. Lernstoff „pauken“ fand ich furchtbar, daher habe ich angefangen kreativ die Inhalte aufzubereiten. Ich war nie gut in Kunst, hatte grad so meinen 3er, aber genau das war der Schlüssel. Denn als ich neben einer Aufzählung von theoretischen Aspekten zu dem Thema Lerngeschwindigkeiten versucht habe, ein Auto zu zeichnen, musste ich herzlich über meine eigene Unzulänglichkeit lachen. Drei Tage später aber, in der Klausur dann, musste ich nur an mein verunglücktes Auto denken und siehe da, ich konnte alle einzelnen Aspekte mit einem Lächeln erinnern. Meine Konklusion war: Wenn das bei mir funktioniert, warum nicht anderen Menschen anbieten?! Nach meinem Studium habe ich so zunächst viele Bildungs- und Weiterbildungsangebote begleitet und dabei meine Technik des Visualisierens kontinuierlich weiterentwickelt.

In Organisationsentwicklungsprozessen eine visuelle Dokumentation anbieten zu können, erwies sich dann als besonders hilfreich. Die Teilnehmenden erlebten sich intensiver involviert in den Prozess, da sie ihre eigenen Gedanken noch einmal vor Augen hatten und die Ergebnisse konnten sehr anschaulich in das ganze Unternehmen kommuniziert werden. Und was als hilfreich erlebt wird, gut funktioniert und auch noch Spaß macht, das macht man weiter. So bin ich immer gern die erste die sich für das Protokollschreiben meldet, denn so ist keine erdenkliche Sitzung mehr langweilig… 😉

Was motiviert Sie an Ihrer Arbeit?

Der Austausch mit den vielen verschiedenen Menschen. Gemeinsam planen, Ideen entwickeln und umsetzen. Jede Veranstaltung ist anders, jeder Kontext anders, jede Situation. Ich muss sehr schnell pragmatische Lösungen entwickeln und darf unter Volldampf arbeiten. Häufig bin ich mit Themen konfrontiert, über die ich wahrscheinlich sonst niemals so tief nachgedacht hätte. Ich spreche mit Menschen, mit denen ich wahrscheinlich niemals ins Gespräch gekommen wäre. Und natürlich motiviert mich sehr, dass durch eine visuelle Dokumentation mit viel Engagement vorbereitete Inhalte bzw. Vorträge nach der Veranstaltung nicht gleich wieder Schall und Rauch sind. Sondern jeder Teilnehmende kann sich diese als Foto mit nach Hause nehmen. Das würdigt nicht nur ReferentInnen, sondern auch alle Teilnehmenden, die engagiert mitverfolgt und mitgedacht haben. Die viele, oft rein kognitive Arbeit während der Veranstaltung ist hinterher nach außen hin sichtbar.