In der Regel werden Prototypen in aufeinander aufbauenden iterativen Schleifen entwickelt und somit stetig verbessert bzw. in ihrer Funktion und ihrem Design erweitert oder angepasst, bis ein zufriedenstellendes Endprodukt erreicht wurde. Beim Prototyping können daher unterschiedliche Entwicklungsstadien voneinander unterschieden werden.
Auch im Kontext von Lehre können mehrere Iterationen von Prototyp, Bau, -Testung und -Anpassung durchlaufen werden. Je nach Lernziel, vorhandener Zeit und/oder Vorerfahrung der Lernenden kann aber auch ein Prototyp in einem mehr oder weniger entwickelten Stadium das Endprodukt des Design Thinking Prozesses sein und auf weitere Iterationen verzichtet werden. Darüber hinaus ist es hilfreich, bereits zu Beginn der Design Challenge festzulegen, welchen Entwicklungsstand das Endprodukt der Challenge haben sollte und welche Kriterien es erfüllen sollte. So können diese Kriterien auch für formative Feedbacks oder die Beurteilung von (Zwischen-)Prüfungsleistungen herangezogen werden.
Prototyp vs. Minimal Viable Product:
Unterschieden wird oft zwischen Prototypen, mit denen in erster Linie überprüft werden soll, ob die Ideen für ein Produkt/eine Dienstleistung/eine Innovation überhaupt umsetzbar sind bzw. von den Nutzern akzeptiert werden würden und einem Minimal Viable Product. Letzteres ist eine erste mit grundlegenden Funktionen ausgestattete Version des Produkts/der Dienstleistung/der Innovation, mit deren Hilfe man die Reaktion der Kunden testen und so ihr Feedback einholen kann.
Verschiedene Prototypenarten
Je nach Entwicklungsstadium unterscheiden Lewrick, Link, Leifer, L. (Hrsg.) im Design Thinking Toolbook (vgl. [1]) unterschiedliche Prototypenarten. Im Folgenden werden einige Prototypenarten, die sich für den Einsatz im Lehrkontext eignen, kurz dargestellt:
Empathie-Prototyp:
Empathie-Prototypen dienen als Unterstützung in Interviews und können in der Phase 2 (beobachten) wichtige Erkenntnisse über die Bedürfnisse der betroffenen Stakeholder liefern. Sie bieten vor allem bei komplexen Sachverhalten einen Mehrwert, indem sie den Interviewpartnern eine greifbare Repräsentation von Problemen oder möglichen Lösungen bieten. So kann beispielsweise mithilfe von Fotos oder Karten mit Schlagwörtern der Einstieg in ein Interview erleichtert werden, indem die interviewte Person die für sie wichtigsten oder ansprechendsten Karten oder Fotos auswählen kann. Auch einfache physische Modelle oder Skizzen können hier zur Demonstration eingesetzt werden. Empathie-Prototypen bieten darüber hinaus den Vorteil, dass der Gesprächsfokus von beiden Interviewpartnern schnell auf wichtige Aspekte eines Problems gelenkt und anhand von konkretisierten Beispielen diskutiert werden kann.
Critical Function Prototyp/Critical Experience Prototyp:
CFPs/CFEs werden vor allem in den Phasen 1 und 2 des Design Thinking Prozesses benutzt. Sie dienen dazu, mithilfe kleiner Experimente mehr über entscheidende Funktionen eines Produkts bzw. entscheidende Erfahrungen, welche die Nutzer mit dem Produkt machen, herauszufinden. Es geht hierbei vor allem darum, kritische Elemente einer potentiellen Lösung in der Interaktion mit Nutzern zu testen und nicht darum, das Problem als Ganzes bereits zu lösen (vgl, [1, S.188f]).
Vision Prototype:
Ein Vision Prototype, wie er vor allem zum Ende der Phase 4 (Ideen finden) entwickelt werden kann, markiert den Übergang zwischen der Problemanalyse und der Lösungsphase. Hierbei sollte die Vision, wie eine zukünftige Lösung aussehen könnte, möglichst kurz und prägnant dargestellt werden. So kann beispielsweise versucht werden, ein Vision Statement zu formulieren, also in einem einzelnen Satz den angestrebten Endzustand darzustellen. Auch können Entwurfsskizzen, einfache Modelle oder Ähnliches erstellt werden. Beim Vision Prototyp handelt es sich um einen noch wenig entwickelten d. h. wenig ausgearbeiteten Prototypen, der aber als Orientierung für die Konkretisierung in weitere Iterationen dienen soll und gegebenenfalls auch Stakeholdern als erstes Konzept präsentiert werden kann (vgl. [1, S.191]). Im Kontext von Lehre wäre beispielsweise eine Zwischenpräsentation nach der Phase der Ideenfindung denkbar, bei der die verschiedenen Studierendenteams ihre Visionen bzw. Lösungsideen im Plenum präsentieren und Rückmeldungen von anderen Lehrenden, anderen Teams oder anderen am Projekt beteiligten Stakeholdern einholen können.
Functional (System) Protoype:
Hierbei handelt es sich um eine erste funktionierende Version eines Prototypens. Meist wird mit einem Functional Prototype nur ein erster Teil der Ideen umgesetzt. Bei Lösungen mit mehreren Funktionalitäten wird so versucht, zuerst die Hauptfunktion umzusetzen, um sie auf ihre Nutzbarkeit und Machbarkeit hin zu überprüfen. So kann unter Umständen bereits in diesem Stadium ein Minimal Viable Product entstehen, also ein Prototyp mit stark eingeschränkter Funktionalität, der aber prinzipiell bereits so genutzt werden kann, wie es am Ende beabsichtig ist. In folgenden Iterationen können dann weitere Funktionen, optionale Features oder ein schönes Design hinzugefügt werden (vgl. [1, S.192]).
Gerade bei der Entwicklung erster funktionsfähiger Prototypen, bei denen die technische Umsetzung eine große Rolle spielt, kann es je nach Komplexität der Aufgabe häufiger zu Rückschlägen oder auch dem Scheitern von Lösungsideen in den Studierendenteams kommen. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, in dieser Phase die Studierendenteams mit Feedback zu unterstützen und immer wieder zu betonen, dass Fehler oder Scheitern als Schritte zum Lernerfolg zu verstehen sind.
X- is finished Prototyp: Hier liegt der Fokus auf der Fertigstellung, Testung und Präsentation verschiedener Teillösungen, die am Ende zu einer Gesamtlösung zusammengeführt werden sollen. Im Gegensatz zum funktionellen Prototypen geht es nun um die detailreiche Ausarbeitung der verschiedenen Teilfunktionen (vgl. [1, S. 193]).
Finaler Prototyp: Ein finaler Prototyp stellt eine möglichst elegante, einfache und schlanke Gesamtlösung für das Problem der Design Challenge dar. Er umfasst die gegebenenfalls in den vorherigen Iterationen entwickelten Detaillösungen bzw. Teilfunktionen. Bei der Entwicklung des finalen Prototypens gilt es, die Lösung/das Produkt auf das Wesentliche zu reduzieren. Dies kann beispielsweise durch geschicktes Kombinieren von einzelnen Teilfunktionen und/oder das Weglassen nicht notwendiger Funktionalitäten erreicht werden. Spätestens mit dem finalen Prototyp sollte das Stadium eines Minimal Viable Product (s.o.) erreicht werden (vgl. [1, S. 194]).
[1] Lewrick, M.; Link, P.; Leifer, L. (Hrsg.) (2020). Das Design Thinking Toolbook, Die besten Werkzeuge und Methoden. München: Vahlen. S. 187–194 .