3. Phase: Standpunkt definieren

Die bislang gesammelten Informationen und Erkenntnisse aus Phase 1 und 2 werden nun in einem konvergenten Vorgehen zusammengeführt. Am Ende dieser Phase nehmen die Studierenden-Teams ein „Reframing“ [4, S. 52], also eine Neuformulierung der Design Challenge vor. Dabei wird die ursprünglich durch die Lehrenden formulierte allgemein gehaltene Aufgabenstellung, welche den gesamten Problemraum umfasste, im Hinblick auf den für die Studierendengruppe zentralen Aspekt bzw. das von ihnen gewählte spezifische Problem innerhalb des Problemraums konkretisiert.

Diese konkretisierte Design Challenge gilt es fortan in den drei Phasen, die dem Lösungsraum zugeordnet werden, zu lösen. So können am Ende des Design Thinking Prozesses für denselben Problemraum sehr unterschiedliche Lösungen entstehen, je nachdem, welche Teilaspekte die verschiedenen Studierendengruppen in den Fokus ihrer Bearbeitung stellen.

Um zu diesem Punkt des Design Thinkings zu gelangen, werden in der 3. Phase die vorliegenden Informationen und Erkenntnisse gesammelt (siehe Kap. 3.1) und strukturiert, kondensiert und bewertet (siehe Kap. 3.2). 

Anschließend wird der fortan weiterzuverfolgende Standpunkt (Point of View) festgelegt (siehe Kap. 3.3) und die zu lösenden Aufgabe aus Sicht der Nutzer*innen (siehe Kap. 3.4) in Form einer User Story oder Persona neu formuliert.

Ablauf der 3. Phase im Detail:

3.1 Nutzer*innenperspektive erfassen – Informationen und Erkenntnisse aus Phase 2 teilen und sammeln


Zuerst werden die Erkenntnisse und gewonnenen Informationen aus den vorangegangenen Phasen zusammengetragen. Aussagen oder Beobachtungen, die sich in verschiedenen Interviews etc. wiederfinden, können dabei geclustert werden. Dies kann z. B. mit Hilfe einer Problem Statement Map oder eines Storytelling Templates durchgeführt werden, es ist aber auch möglich, die folgende Formulierung zu nutzen:

Wir haben getroffen…. (Nutzer)

Wir waren überrascht zu erfahren/ beobachten……

Wir wollen ihr/ihm dabei helfen…

3.2. Informationen und Erkenntnisse strukturieren und wichtige/neue Erkenntnisse (Insights) herausarbeiten

Die Daten werden nun strukturiert und analysiert. Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Spannungsfelder oder Widersprüche, welche sich aus den gewonnenen Interviews oder Beobachtungen ergeben, werden einander gegenübergestellt. 

Neue (überraschende) bzw. die wichtigsten Erkenntnisse (Insights) werden herausgearbeitet. Den Aussagen der Nutzer*innen wird eine Interpretationsebene durch das Studierenden-Team hinzugefügt. Das Team stellt sich dabei die Frage: Was steckt hinter einer Aussage oder Beobachtung? Es fragt sich, welche Bedeutung das Gesagte haben könnte, welche Motivationen, Bedürfnissen, Problemen etc. sich hinter der/n eigentlichen Aussage/n verbergen könnten. Da der Schritt von den konkreten Aussagen hin zur Interpretation nicht einfach ist, sollte dabei darauf geachtet werden, dass Nutzer*innenaussagen nicht abgewandelt, sondern nur durch die Interpretation ergänzt werden (vgl. dazu auch [4, S. 53]). Hierfür bietet es sich beispielsweise an, die Methode Storytelling für Design Thinking oder eine Problem Statement Map zu nutzen. 

3.3. Point of View (POV) definieren

Das Team entscheidet sich auf welches konkrete Problem, welche Stakeholder-Bedürfnisse bzw. welchen relevanten Teilaspekt es sich im weiteren Verlauf mit seiner Problemlösung fokussieren möchte und hält dies in Form eines Point of View fest:

Ein Point of View (POV) beschreibt einen konkreten Teilaspekt der Design Challenge aus einer bestimmten (Nutzer*innen-) Perspektive und dient somit als Ausganspunkt für die Erarbeitung einer auf diese Nutzer*innen und ihre Bedürfnisse abgestimmte spezifische Lösung. Der Point of View (POV) wird in der Regel als How Might We Frage formuliert:  

Wie können wir ………….. (Nutzer) helfen,

………………….. (etwas bestimmtes zu tun)

um dadurch …………….. (ein bestimmtes Ziel/ die Befriedigung eines Bedürfnisses) zu erreichen?

Zusatzinformation

Je nach Komplexität der Design Challenge bzw. je nachdem, wie erfahren das Studierenden-Team ist, definiert es entweder einen oder mehrere Standpunkte (Point of View). So kann es beispielsweise sinnvoll sein, mehrere Standpunkte zu definieren, wenn eine Lösung für unterschiedliche Stakeholder oder Nutzer*innengruppen gefunden werden soll. Ist das Team eher unerfahren, kann es hingegen hilfreich sein, sich zuerst auf die Bearbeitung eines einzelnen Point of Views zu konzentrieren und andere Teilaspekte des Problems oder die Bedürfnisse anderer Stakeholder/Nutzer*innengruppen beispielsweise in einer späteren Iteration hinzuzufügen.

Bei der Erarbeitung des Point of View (POV) durch die Studierenden-Teams gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen:

  1. Das Team kann sich auf eine oder mehrere besonders relevante Erkenntnisse einigen und anschließend gemeinsam dazu jeweils einen Point of View formulieren (vgl. [4, S. 53]).
  2. Es wäre aber auch möglich, dass die Teammitglieder zuerst mehrere Point of Views erarbeiten und das Team anschließend (beispielsweise mithilfe von Dot Voting oder einer Methode wie 2×2 Matrix/Two Axis) gemeinsam entscheidet, welche POVs sie als Team für besonders passend erachten und für die Arbeit an einer Lösung auswählen wollen (siehe [3, S. 73f.]).

3.4 Nutzerperspektive veranschaulichen

Die ausgewählten Point of Views werden vom Studierenden-Team in einem letzten Schritt veranschaulicht bzw. visualisiert. Dies dient dazu, dass das Studierenden-Team eine gemeinsame Vorstellung von den Menschen (Stakeholdern) entwickelt, deren Probleme bei der Lösung im Vordergrund stehen sollen. Darüber hinaus wird so eine Möglichkeit zur besseren Identifikation mit den jeweiligen Stakeholdern geschaffen, indem ihre Bedürfnisse und Gewohnheiten nachvollziehbar gemacht werden. Im Lehrkontext können die veranschaulichten Nutzerperspektiven auch für Zwischen- oder Abschlusspräsentationen genutzt werden.

Zur Veranschaulichung der Point of Views können beispielsweise folgende Methoden genutzt werden:

Personas

Personas sind fiktive Personen, die eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen Eigenschaften und Bedürfnissen repräsentiert. Mithilfe von Personas lassen sich die Bedürfnisse, Motivationen, Handlungsmöglichkeiten, sowie die Lebensumstände und signifikanten Eigenschaften der ihnen zugrundeliegenden Zielgruppe/Nutzergruppe oder anderer Stakeholder veranschaulichen und eine empathische Haltung ihnen gegenüber entwickeln. Zum Personakonzept siehe auch die Methodenbeschreibung zu Personas sowie [2, S. 97-102].

Costumer Journey Map

Eine Customer Journey Map zeigt den Prozess und die Schritte, die ein/e Nutzer*in oder Kunde/*in bei der Erledigung einer bestimmten Aufgabe oder bei einem bestimmten Erlebnis durchläuft. Sie stellt das Handeln des/r Nutzer*in als eine Art Geschichte dar und bezieht dabei meist nicht nur den Zeitpunkt der Handlung ein, der durch die Design Challenge beeinflusst werden soll, sondern auch das was davor und danach passiert. So können auch Kontextbedingungen, die einen Einfluss auf die Stakeholder oder die Lösung des Problems haben, einbezogen werden. (Siehe auch die Methodenbeschreibung zur Customer Journey Map sowie [2, S. 103ff])

Jobs to be done

Die Methode Jobs-to-be-done dient dazu, Nutzer*innnenbedürfnisse zu erfassen. Dabei wird der Fokus erst einmal nicht auf das Produkt/die Dienstleistung an sich gelegt, vielmehr werden die Aufgaben (Jobs) in den Blick genommen, die Nutzer*innen mit diesem Produkt erledigen wollen oder müssen und auf welche Art sie diese benutzen.

Storyboard

Mit einem Storyboard werden ähnlich wie beim Szenenbuch eines Films die gewonnenen Informationen in einer Story mit Bildern oder Zeichnungen dargestellt (vgl. [4, S. 32f.]).

Project Canvas

Ein Project Canvas dient der Visualisierung von Projektvorhaben. Es geht auf die Idee des Business Model Canvas zurück, ist aber auch für Personengruppen geeignet, die wenige bis keine Vorerfahrungen im Projektmanagement haben. Auf dem Canvas werden die verschiedenen zu beachtenden Aspekte eines Projekts in Feldern dargestellt, Leitfragen unterstützen das Team beim Ausfüllen.

In dieser Phase können z. B. folgende Methoden unterstützend eingesetzt werden:

Für die Schritte 3.1. und 3.2.

Für Schritt 3.3.

Für Schritt 3.4.


weiter zu:

Herausforderung definierenPhase 1
verstehen
Phase 2
beobachten
Phase 3
Standpunkt definieren
Phase 4
Ideen finden
Phase 5
Prototyp erstellen
Phase 6
testen

Literatur

[1] Blatt, M.; Sauvonnet, E. (2017). Wo ist das Problem, Mit Design Thinking Innovationen entwickeln und umsetzen. München: Vahlen.

[2] Lewrick, M.; Link, P.; Leifer, L. (Hrsg.) (2020). Das Design Thinking Toolbook, Die besten Werkzeuge und Methoden. München: Vahlen.

[3] Lewrick, M.; Link, P.; Leifer, L. (Hrsg.) (2018). Das Design Thinking Playbook, Mit traditionellen, aktuellen und zukünftigen Erfolgsfaktoren. München, Vahlen.

[4] Osann, I.; Mayer, L.; Wiele, I. (2018). Design Thinking Schnellstart, Kreative Workshops gestalten. Lernlogbuch, Phasen-Check, Handwerkszeug, Dokumentation, Agendabeispiele. München, Carl Hanser Verlag.