Um die für eine Retrospektive notwendige offene Diskussions- und Fehlerkultur zu etablieren, bedarf es einer wertschätzenden und zugleich vertraulichen Atmosphäre. Nur innerhalb eines „geschützten Raumes“ kann sich die Bereitschaft aller Teilnehmenden entwickeln, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, konstruktive Kritik zu äußern und Fehler als Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten zu begreifen. Aus diesem Grund kann es helfen, bei der Einführung von Retrospektiven in Vorlesungen die folgenden beiden Regeln zu erklären:
Vegas Regel:
„Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas!“
Was das Team miteinander bespricht, bleibt vertraulich. Sollen Externe (z. B. auch die Lehrperson) informiert oder zu Rate gezogen werden, so einigen sich die Teammitglieder gemeinsam darauf, welche Informationen nach außen getragen werden und welche nicht. Sind über das Semester hinweg mehrere Retrospektiven geplant, so kann es hilfreich sein, die Vegas Regel vor jeder Retrospektive kurz ins Gedächtnis der Studierenden zu rufen. Hierzu kann z. B. die Regel für alle sichtbar im Raum oder auf einem digitalen Whiteboard platziert werden.
„Oberste Direktive“ (Prime Directive[1]):
„Wir gehen davon aus, dass alle Beteiligten das Beste getan haben, was sie zu jenem Zeitpunkt vor dem Hintergrund ihres Wissens, ihrer Fähigkeiten, der vorhandenen Ressourcen und der gegebenen Situation tun konnten.“
Die „oberste Direktive“ dient dazu, dass sich die Teammitglieder vornehmen Kritik nicht an einer Person zu äußern, sondern sich auf Lösungen für Herausforderungen zu konzentrieren. So soll verhindert werden, dass die Gruppenmitglieder nach Schuldigen für Scheitern oder Probleme suchen oder gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen.
Zusatzinformation:
Gerade in der dritten Phase einer Retrospektive, in der es darum geht, die Ursachen für Herausforderungen zu finden, kann es sehr hilfreich sein, die goldene Regel noch einmal vorzulesen, bevor das Team mit der Analyse beginnt. So kann gemeinsam in der Gruppe der Fokus auf die Analyse und Veränderung der drei Faktoren Wissen, Fähigkeiten und Umfeld (Ressourcen und Situation) gelegt werden: Sind beispielsweise Fehler entstanden, weil Teammitglieder nicht genug Wissen über Prozessabläufe oder Verantwortungsbereiche hatten, könnte die Kommunikation transparenter gestaltet werden. Mangelt es an Fähigkeiten oder Grundlagenwissen, so könnte überlegt werden, wie diese möglichst schnell gelernt werden können. Fehlende Ressourcen können für die Zukunft beschafft werden und bei Einflüssen aus dem Umfeld kann das Team versuchen diese zu reduzieren oder fortan bei der Teamarbeit zu beachten.
Das Vorstellen der „obersten Direktive“ ist eine Methode, um eine offene Feedbackkultur zu thematisieren. Dies kann aber auch auf andere Weisen erreicht werden. So könnte stattdessen beispielsweise Working Agreements, die sich das Team zuvor erarbeitet hat, genutzt oder allgemein über Regeln gesprochen werden, wie man konstruktiv und wertschätzend Feedback geben kann.
Für die „Vegas Regel“ und die „Oberste Direktive“ kann die Vorlage (oberste Direktive und Vegas Regel) online zur Verfügung gestellt oder ausgedruckt werden. (LINK folgt)
Check-in Fragen
Eine weitere Möglichkeit wäre auch mit einer Check-In Frage in die Retro zu starten, um es den Teilnehmenden zu ermöglichen, als Mensch anzukommen und ihre Aufmerksamkeit auf die Retrospektive zu lenken.
Mehr Informationen finden Sie hier:
[1] Vgl. hierzu Norman Kerth (2001): „Regardless of what we discover, we understand and truly believe that everyone did the best job they could, given what they knew at the time, their skills and abilities, the resources available, and the situation at hand.“
weiterführende Literatur und Links zu Retrospektiven:
Norman L. Kerth, Project Retrospectives: A Handbook for Team Reviews, Dorset House Publishing, 2001.
Esther Derby, Diane Larsen: Agile retrospectives: Making good teams great, 2006.
Judith Andresen: Retrospektiven in agilen Projekten: Ablauf, Regeln und Methodenbausteine, München 2017.
https://retromat.org/de/ (Stand 01.11.2023)